Miri und die „Durchsetzungsfähigkeit“ des Rechtsstaats:
Ausgangspunkt sei der WELT-Online-Artikel vom 22.11.2019
„Clan-Chef Miri darf abgeschoben werden“:
„Nun darf der einem libanesischen Clan angehörende Ibrahim Miri grundsätzlich erneut abgeschoben werden. Das
Verwaltungsgericht Bremen lehnte einen von Miris Anwalt gestellten Eilantrag am Freitag ab.
…
‚Klares Zeichen unseres Rechtsstaates‘
Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) begrüßte die Entscheidung. ‚Das ist ein großer Erfolg für die
Durchsetzungsfähigkeit unseres Rechtsstaates‘, sagte er.
…
Der Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Oliver Malchow, sagte WELT zu der Entscheidung: ‚Das
ist ein klares Zeichen unseres Rechtsstaates, der sich handlungsfähig zeigt.‘
…
Der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, äußerte sich im Gespräch mit WELT ähnlich: ‚…
Unser Rechtsstaat zeigt hiermit, dass er schnell und konsequent handeln kann. Das Bundesamt für Migration und
Flüchtlinge und die Sicherheitsbehörden beweisen hiermit ebenfalls ihre Handlungsfähigkeit.‘“
Rechtsstaat zur Durchsetzung von Interessen:
Warum schwadronieren die alle so enthusiastisch von der Handlungs- bzw. Durchsetzungsfähigkeit des
Rechtsstaats? Lapidar den Rechtsstaat zu loben, wie auch immer die Entscheidung eines Gerichts ausgefallen
ist, ist wohl nicht ihr Ding. Und wenn die Entscheidung zugunsten Miris ausgesprochen worden wäre, hätte
dieses Phänomen „Rechtsstaat“ sich dann als handlungsUNfähig erwiesen? Nach der Logik dieses
Rechtsstaats-Fanklubs anscheinend ja. Was ist demnach der sogenannte Rechtsstaat für diese Figuren?
Offensichtlich die schlagkräftige, mit einem Gewaltmonopol ausgestattete Organisation zur Durchsetzung ihrer
persönlichen und/oder (Seehofers Amt sei Dank) staatlichen rechtlichen Interessen. Für Seehofer und Konsorten
ist es anscheinend kein Problem, wenn das Gebaren der staatlichen Administration, Justiz und Gerichtsbarkeit
zum Instrument ihrer Partikularinteressen verkommt.
Staat und Interessen:
Stopp! Ein Bundesinnenminister Seehofer als hochgestellter Repräsentant des Staates vertritt ein
Partikularinteresse? Sieht ganz so aus.
Erstens: Der Rechtsstreit zwischen irgendeiner staatlichen Behörde und Miri stellt rechtswissenschaftlich
betrachtet ein kontradiktorisches Verfahren dar, bei dem sich zwei streitende Parteien gegenüber stehen und
dem Gericht die Aufgabe zufällt, zu ermitteln, welchem der jeweiligen Parteiinteressen nach seiner
Rechtsauffassung der Vorzug gebührt. Und dieses staatliche Partikularinteresse macht sich ja nicht erst im
Rechtsstreit, sondern natürlich bereits zuvor auf der administrativen Ebene – etwa im Rahmen des Erlasses
eines Verwaltungsakts, der Abschiebungsanordnung – geltend.
Zweitens handelt es sich bei einem staatlichen Interesse (zum Beispiel an der sofortigen Abschiebung von Miri)
um ein Partikularinteresse und nicht um ein allgemeines Interesse, weil allenfalls das Gesetz seiner Form nach
einen allgemeinen staatlichen Willen verkörpert, nicht aber das Agieren einer Behörde oder eines
Innenministers („Chefsache“), die einen Miri umgehend loswerden möchten. Und natürlich gelingt es diesen
Staatsorganen nicht, irgendein Gesetz zu präsentieren, dem ausdrücklich und konkret zu entnehmen wäre, dass
Miri hier und heute sofort abzuschieben ist. Eine derartige Interpretation der nun einmal nur in abstrakter
Form real existierenden Gesetze ist nicht gerade zwingend. Mit etwas gutem oder gut bezahltem Willen könnte
eine gegenteilige Auslegung schon vertretbar sein. Man bräuchte sich zur Illustration dessen nur die
Schriftsätze von Miris Rechtsanwalt gegenüber dem Gericht zu Gemüte führen (Stichwort: „subsidiärer Schutz“ –
sehr flexibel auslegbar).
Man könnte auch noch einen Schritt weiter gehen und grundsätzlich in Frage stellen, ob der Staat überhaupt der
Sachwalter allgemeiner Interessen und Repräsentant des Gemeinwohls ist. Würde man in einem Anfall von
Populismus dem Volk plebiszitär zu diversen Legislativ- bzw. Exekutivaktivitäten des Staates aufs Maul
schauen, könnte man schon einige Gegenstimmen sammeln. Und ab wie vielen solcher Proteststimmen darf man die
Erfüllung des Gemeinwohls in Abrede stellen? Will man wirklich aus einem Flickenteppich divergierender
gesellschaftlicher Interessen par ordre du mufti ein angebliches „Gemeinwohl“ herausgreifen und durchsetzen?
Wie häufig staatliche Organe die ihrer Obhut ausgelieferten Gesellschaften voller Hybris in den Untergang
geführt haben, muss erst gar nicht näher ausgeführt werden.
Ist es erlaubt an dieser Stelle die – von Gerichten wohl aus gutem Grunde bislang nicht überprüfte –
Grenzöffnung im Jahr 2015 und die seither unterlassene weitgehende Grenzschließung zu erwähnen? Kam keineswegs überraschend, EU-Pläne zur Invasion von mehr als 50 Millionen Afrikanern existierten mindestens seit 2008
(„Daily Express“). Es ist in diesem Zusammenhang vom Begriff „Umvolkung“ Gebrauch gemacht
worden, auf den der
Verfassungsschutz bereits ein Auge geworfen hat. Hoppla, fast vergessen zu erwähnen: Nicht
die für das Grenzdesaster Verantwortlichen hat er ins Visier genommen, sondern deren Kritiker. Dumm
gelaufen …
Recht(sprechung):
Man kennt diese Prozedur ja zur Genüge aus der Tagespresse: In 1. Instanz ergeht ein Urteil, das in
2. Instanz entweder bestätigt oder modifiziert wird, worauf der Bundesgerichtshof oder das
Bundesverwaltungsgericht als 3. Instanz das zweitinstanzliche Urteil kassiert. Und mitunter garniert dann
letztendlich noch das nach Parteienproporz und weniger nach fachlicher Qualifikation bestückte
Bundesverfassungsgericht den Instanzenzug mit seinen Grundrechtskonstrukten, sofern es sich in
einstelligem Prozentsatz dazu herablässt, eine Verfassungsbeschwerde anzunehmen.
Fortwährend sticht dabei der „Ober“ den „Unter“ qua Amt, nicht qua Überzeugungsleistung. Dieser Hierarchie ist
eine Scheidung in qualitativ guter und schlechter Rechtsprechung bzw. -anwendung nicht immanent. Deren
Qualität steigt nicht proportional mit der Lufthoheit. Was darf man sich denn jetzt als richtiges Recht
aussuchen, sofern man es sich nicht aus reiner Autoritätsgläubigkeit oder aufgrund beruflicher Repression
möglichst leicht machen möchte/muss und im Chor mit den Leitwölfen heult? Praktisch jedermann, selbst wenn
seine einzige Qualifikation „Stammtischbruder“ lautet, könnte seine ganz persönliche Rechtsauffassung entlang
eines Gesetzes mit gleichem „Recht“ vertreten, wie ein subalterner „Herr Rat“ am Königlich Bayerischen
Amtsgericht oder am anderen Ende ein hochdekorierter Richter am Bundesverfassungsgericht, dem
4 wissenschaftliche Mitarbeiter zuarbeiten, damit seine Rechtsmeinungen auch ja „wissenschaftlich“ genug
erscheinen. Wenn, ja wenn es dem Rechtslaien zumindest gelänge, sich irgendeine illustre Begründung einfallen
zu lassen, die nicht gerade den Verdacht auf sich zieht, einem Irrenhaus entsprungen zu sein. Ein objektiver
Maßstab für die Richtigkeit von Rechtsmeinungen existiert nun mal nicht, sie wabern im Reich der Beliebigkeit.
Das Recht ist eine Chimäre, ein Trugbild.
Wer wäre besser berufen, diese Feststellung argumentativ zu untermauern, als unser ehrwürdiges
Bundesverfassungsgericht, indem es freimütig unter Berufung auf Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes („Gesetz
und Recht“) den Standpunkt vertritt, das Gesetz sei keineswegs alleiniger Maßstab der Rechtsprechung:
„Richterliche Tätigkeit besteht nicht nur im Erkennen und Aussprechen von Entscheidungen des Gesetzgebers. Die
Aufgabe der Rechtsprechung kann es insbesondere erfordern, Wertvorstellungen, die … in den Texten der
geschriebenen Gesetze nicht oder nur unvollkommen zum Ausdruck gelangt sind, in einem Akt bewertenden
Erkennens, dem auch willenhafte Elemente nicht fehlen, ans Licht zu bringen und in Entscheidungen zu
realisieren. … Die richterliche Entscheidung schließt dann diese Lücke nach den Maßstäben der praktischen
Vernunft und den "fundierten allgemeinen Gerechtigkeitsvorstellungen der Gemeinschaft““
[BVerfGE 34, 269 – Soraya].
Und solche im Wege der „schöpferischen Rechtsfindung“ hervorgekramten „Wertvorstellungen“, die auch bei der
Gesetzesauslegung permanent zur Anwendung gelangen, sind – bei Lichte besehen – nun mal keine objektiven
Erkenntnisse dank stringenter Begründungen. Notabene: Deshalb ist die angebliche „Rechtswissenschaft“ auch
keine Wissenschaft. Das Zusammenklauben und Strukturieren von mehr oder weniger originellen Rechtsmeinungen hat
mit wirklicher Wissenschaft nichts am Hut. Es verwundert nicht, dass in der Jurisprudenz Werke, die sich im
Rahmen von Gesetzessammlungen dieser Tätigkeit widmen und sich dabei aufgrund subjektiver Eigenheiten ihrer
Autoren notwendigerweise häufig widersprechen, als „Kommentare“ betitelt werden. Auf eine solche Idee würden
Naturwissenschaftler kaum verfallen.
Man mag rechtskräftige Urteile/Beschlüsse oder bestandskräftige Verwaltungsakte aufgrund ihrer Unangreifbarkeit
als nicht mehr in Frage zu stellendes „Recht“ feiern. Wenn jedoch in gleichgelagerten Fällen zigfach
andersherum gehandelt oder entschieden wird/wurde, klingt dieser hochtrabende Begriff wenig vertrauenswürdig,
da er schlicht auf unumstößliche Streitbeendigung reduziert wird. Und „allgemein verbindlich“ ist ein so
verstandenes „Recht“ schon gleich gar nicht.
Gesetz und Recht:
Die idealistische Auffassung, Administration und Justiz müssten das „richtige Recht“ anwenden und ermitteln,
welche der beiden sich in einem Rechtsstreit gegenüberstehenden Parteien im „Recht“ ist, ist demzufolge
deplatziert. Ein solchermaßen objektives Recht existiert nicht. Was ist dann aber vom „Rechts“-Staat zu
halten? Was zweifelsohne existiert, sind allgemeine und abstrakte Gesetze und eine
Administration/Justiz/Gerichtsbarkeit, die die Gesetze im konkreten Einzelfall jeweils nach Gusto auslegt und
anwendet. Die einzige Schranke bei dieser Prozedur stellt das Willkürverbot dar, das seinerseits
auslegungsbedürftig ist. Der Staat ist also ein Gesetzesstaat
(Wikipedia).
„Ein Rechtsstaat ist ein Staat, der einerseits allgemein verbindliches Recht schafft und andererseits seine
eigenen Organe zur Ausübung der staatlichen Gewalt an das Recht bindet.“
(Wikipedia).
Schafft der Staat wirklich „allgemein verbindliches Recht“ oder ganz profan nur allgemeine Gesetze bzw.
niederrangigere Regeln wie Verordnungen, Satzungen etc.? Wäre „Recht“ einfach nur die Gesamtheit dieser Regeln,
wäre die Doppelmopplung „Gesetz und Recht“ in Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetz einigermaßen albern.
Die Gleichsetzung von Gesetz und Recht ist irrig
(Wikipedia). Anhänger der Linguistik wissen vielleicht folgende Begriffe zu schätzen: „Rechtsprechung “ (wonach das Recht eines Ausspruchs bedarf, während das Gesetz etwas Schriftliches, weniger Vergängliches darstellt), „Rechtspflege“, „Rechtsstreit“, „Rechtsschutz“, „Rechtsempfinden“. Man ersetze in diesen Begriffen „Recht“ mit „Gesetz“ und suche den Fehler.
Auch die Straftheorie-Phrase „Wiederherstellung des Rechts“ sei in diesem Kontext erwähnt.
„Nach der absoluten Theorie ist die Strafe die Aufhebung der verbrecherischen Störung der Rechtsordnung, die
Wiederherstellung des Rechts, indem sie dem Gesetz Genugtuung verschafft.“
(Kirchner)
Wenn zwischen Gesetz und Recht Identität bestünde, würde das Gesetz per Strafe wiederhergestellt werden, es
war aber trotz des Fehltritts des Straftäters nie verletzt und schon gar nicht weg, bedarf also keiner
Wiederherstellung, sondern einfach seiner Anwendung.
Bei einer Straftat handelt es sich – entgegen landläufiger Ansicht – eben nicht um einen Gesetzesverstoß.
Umgekehrt wird ein Schuh daraus:
„Unter der Vollendung einer Tat versteht man die formelle Tatbestandserfüllung. Sie liegt vor, wenn alle
Tatbestandsmerkmale erfüllt sind.“ (Rechtswörterbuch)
Die Straftat ist daher die Verwirklichung des Strafgesetz-Tatbestandes. Strafgesetze beginnen nicht mit „Du
sollst nicht …“ Sollten sie aber vielleicht – nur zur Klarstellung.
Also müsste es sich beim „allgemein verbindlichen Recht“ um überpositive Regeln handeln, die mangels
Schriftform reichlich unkontrollierbar wären und willkürlich aus dem Hut gezaubert werden könnten. Wie etwa
ein von Moralvielosophen und -theologen erfundenes Naturrecht. Oder ein weniger harmloses diktatorisches
Notstandsrecht zur Unschädlichmachung staatsfeindlicher Elemente, etwa Klimaleugner im Angesichte einer
herbeihyperventilierten ultimativen Klimakatastrophe? Dieses angebliche „Recht“ verkörpert dann die oben
erwähnten, vom Bundesverfassungsgericht herbeigeredeten „Wertvorstellungen“.
Wie „Gesetz und Recht“ auf den Einzelfall anzuwenden sind, das entscheidet eine Heerschar von Juristen und
Sachbearbeitern in staatlichen Organen per Urteile, Verwaltungsakte und dergleichen, mal so, mal anders, je
nach einem bunten Strauß aus Ideologie/Philosophie, persönlicher Moralvorstellungen und profaner je nach
Interessenlage bis zu lobbyistisch oder autoritär übermittelten Empfehlungen oder Befehlen, insbesondere auf
der Spielwiese der unbestimmten Rechtsbegriffe
(Wikipedia) und der
Ermessensspielräume (Wikipedia). So
bewahrheitet sich immer wieder der Spruch:
„Vor Gericht und auf hoher See ist man in Gottes Hand.“
Ende Gelände ♦ Aus die Maus ♦ Schicht im Schacht ♦ Klappe zu - Affe tot
So long ♦ See You Later, Alligator - In A While, Crocodile ♦ Over And Out