Argumentation zur Verfassungswidrigkeit
des Maastrichter Vertrages
der Europäischen Gemeinschaft von 1992,
des Gründungsakts der Europäischen Union
1) Artikel 23 Grundgesetz - Europäische Union:
Artikel 23 Abs. 1 Satz 1 GG verpflichtet die Bundesrepublik Deutschland, "zur Verwirklichung eines vereinten Europas" bei der
Entwicklung der Europäischen Union" mitzuwirken. Artikel 23 Abs. 1 Satz 3 GG ermächtigt die Bundesrepublik Deutschland zur
"Begründung der Europäischen Union".
Mit diesen Grundgesetzänderungen wurde von den Antragsgegnern der Versuch unternommen, eine verfassungsrechtliche
Rechtsgrundlage für die parallel erfolgte Verabschiedung des Gesetzes zum Vertrag vom 7. Februar 1992 über die Europäische
Union, mit dem diesem Vertrag (nachfolgend "Maastrichter Vertrag" genannt) zugestimmt wurde, sowie für die Ratifikation dieses
Vertrages zu schaffen.
Mit dem Gesetzgebungsverfahren betreffend das Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes verbindet sich das Eingeständnis der
Antragsgegner, dass für die Zustimmung zum Maastrichter Vertrag, der nach Artikel A Satz 1 die Gründung der Europäischen Union
beinhaltet, bis dato im Grundgesetz, insbesondere mit Art. 24 GG, keine ausreichende Rechtsgrundlage vorlag und es daher der
Aufnahme eines gesonderten Europaartikels bedurfte. Insoweit schlossen sich Bundestag/Bundesrat der Rechtsauffassung der
Gemeinsamen Verfassungskommission von Bundestag und Bundesrat an (vgl. Scholz, Grundgesetz und europäische Einigung, NJW 1992,
2593, 2594).
Die Entstehungsgeschichte der in diesem Organstreitverfahren angegriffenen Grundgesetzänderungen rechtfertigt es, zum Zwecke der
Auslegung bzw. Ausdeutung des in Artikel 23 Abs. 1 Satz 1 GG verwendeten und dort auch näher beschriebenen Begriffes
"Europäische Union" die im Maastrichter Vertrag niedergelegten Grundsätze und Regelungen heranzuziehen. Dieses Vertragswerk
beinhaltet nach dem Willen von Bundestag/Bundesrat die grundlegende Konzeption einer Europäischen Union, die im Grundgesetz
verankert werden sollte.
2) Bundesstaatsprinzip:
Die in Artikel 23 Abs. 1 GG vorgesehene "Begründung der Europäischen Union", das dort ebenfalls vorgesehene Mitwirken der
Bundesrepublik Deutschland "bei der Entwicklung der Europäischen Union" und die Zustimmung zum Maastrichter Vertrag verstossen
gegen das in Artikel 20 Abs. 1 GG festgelegte und durch Artikel 79 Abs. 3 GG vor jedem Zugriff geschützte Bundesstaatsprinzip.
Artikel 20 Abs. 1 GG legt die Bundesrepublik Deutschland auf die Staatsform des Bundesstaats fest. Grundgesetzänderungen, durch
welche diese Staatsform lediglich "berührt" wird, sind unzulässig und ihrerseits verfassungswidrig.
Der Maastrichter Vertrag begnügt sich nicht mit der Erweiterung der bisherigen supranationalen EG-Zuständigkeiten. Mit der
Gründung der Europäischen Union verbindet sich vielmehr der Einstieg in eine (politische) Staatenunion eigenstaatlichen
Charakters, die u.a. gekennzeichnet ist durch die Einführung einer einheitlichen Währung, Geld- sowie Wechselkurspolitik
(Artikel 3a des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft nach dem Stand vom 07.02.1992 - nachfolgend EGV genannt),
die Schaffung einer Europäischen Zentralbank (Artikel 4a EGV), die Einführung einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik
(Artikel J des Vertrages über die Europäische Union), die Einführung einer gemeinsamen Verteidigungspolitik bis hin zur
gemeinsamen Verteidigung (vgl. Artikel J.4 des Vertrages über die Europäische Union) und die Einführung einer Unionsbürgerschaft
(Artikel 8 EGV).
Mit dieser vertraglich geregelten Verlagerung von Zuständigkeiten in Kernbereichen des politischen Handelns eines souveränen
Nationalstaates soll die Europäische Gemeinschaft von einer zwischenstaatlichen in eine eigenstaatliche Einrichtung umgewandelt
werden (vgl. Scholz, a.a.O. Seite 2594).
"Nach Äußerungen des Kommissionspräsidenten Delors sollen nach und nach rund 80% der nationalen Souveränitätsrechte auf die EG
übergehen." (zitiert nach Philipp, Ein dreistufiger Bundesstaat?, ZRP 1992, 433).
Scholz (a.a.O. Seite 2599) stellt in diesem Zusammenhang fest:
"Andererseits implizieren schon die bisherige Struktur der EG und erst recht ihr weiterer Ausbau zur Europäischen Union die
explizite Gefahr einer unverhältnismäßigen Konzentration von Zuständigkeiten auf der supranationalen Zentralebene - eine
Entwicklung, die schon heute zu viel beklagten Unzuträglichkeiten geführt hat."
Hinter dem abstrakten Begriff von der "Europäischen Union" verbirgt sich somit die Zielsetzung, im Rahmen eines europäischen
Integrationsprozesses den überwiegenden Teil der bisher auf den Bund und die Länder verteilten Souveränitätsrechte auf die
Organe der Europäischen Gemeinschaft zu verlagern. Durch diesen Prozeß werden der Bund und die Länder der Gefahr ausgesetzt,
eines für die Staatlichkeit der Bundesrepublik Deutschland erforderlichen Mindestmaßes an Befugnissen durch eine nicht mehr
kontrollierbare Überleitung von aus der Volkssouveränität fließenden Rechten auf die Europäische Gemeinschaft verlustig zu
gehen.
"Art. 23 I 1 GG n.F. bekennt sich damit ausdrücklich zu einem dreistufigen Aufbau der Europäischen Union, der von der
Europäischen Zentralebene über die Ebene der Mitgliedsstaaten bis zur Ebene der inneren Gliedstaaten (Bundesländer) reicht"
(vgl. Scholz, a.a.O. Seite 2599).
Mit diesem dreistufigen Aufbau der Europäischen Union verläßt der Maastrichter Vertrag eine der elementaren Grundfesten des
Grundgesetzes - das Bundesstaatsprinzip.
Philipp (a.a.O. Seite 434 ff.) hat anschaulich auf die mit der Aufhebung des zweistufigen Bundesstaatsprinzips verbundenen
Gefahren für die Bundesrepublik Deutschland hingewiesen:
"Durch die Übertragung von Hoheitsrechten auf die Europäische Union wird die bisher allein deutsche Einheit verkörpernde
bundesstaatliche Ebene derart in Mitleidenschaft gezogen, daß sie de facto, eines Tages auch de jure, verschwindet. Auf diese
Weise entstünde wieder ein zweistufiger Bundesstaat, bestehend aus der Europäischen Union und - in Deutschland - aus den
sechzehn Bundesländern, die gleichberechtigte Mitglieder der Europäischen Union mit den anderen Mitgliedsstaaten wie England,
Frankreich, Italien etc. wären."
"Denkbar wäre aber auch, daß die bei Deutschland verbleibenden restlichen Souveränitätsrechte (20%?) im Interesse der
Handlungsfähigkeit Deutschlands auf Bundesebene zentralisiert werden müssen. Dieses hätte das Ende des traditionellen deutschen
Föderalismus zur Folge."
"Es ist mit Händen zu greifen, daß die Begründung eines dreistufigen Bundesstaates zu einer staatlichen Überorganisation führen
wird, deren Handlungsfähigkeit und Kompetenz in keinem Verhältnis zu ihrer Ausdehnung und auch ihren Kosten stehen wird. Eher
ist zu befürchten, daß Nichtstun und teilweise anarchische Zustände die Folge sein werden. Es könnte sogar sein, daß die hier
entstehenden staatlichen Leeräume von kriminellen Organisationen - wie es etwa in Italien schon lange der Fall ist - besetzt
werden."
"Es liegt jedenfalls nahe, daß drei staatliche Ebenen sich viel mehr gegenseitig beschäftigen, als das Land regieren werden."
"Es ist überhaupt nicht auszudenken, welche Folgen sich einstellen könnten, wenn solche Strukturen erst einmal festgeklopft sind
und dann wegen des Eintretens unerträglicher Zustände wieder aufgelöst werden müssen. Für solche Entwicklungen gibt es
gegenwärtig in Europa abschreckende Beispiele."
"Wenn nur noch 20% bis 30% der insgesamt vorhandenen - bisher auf Bund und Länder verteilten - Souveränitätsrechte übrig sind,
macht es keinen Sinn mehr, diesen Restbestand innerdeutsch noch auf eine Bundes- und eine Länderebene zu verteilen. Schon die
immensen und trotz der Kompetenzverringerung gleichbleibenden Kosten einer Zentralregierung und weiterer 16 Länderregierungen
nebst jeweiligen Parlamenten stehen dem entgegen. Auch wird der staatstragende demokratische Gedanke schwer gefährdet, wenn die
Bürger in immer wiederkehrenden Urnengängen Verfassungsorgane wählen sollen, die fast nichts mehr zu tun und zu sagen haben."
Allem Anscheine nach hatte die Befassung mit dem Maastrichter Vertrag bzw. den damit erforderlichen Grundgesetzänderungen
bereits Bestrebungen innerhalb der Verfassungskommission des Bundestages und des Bundesrates zur Folge, das Bundesstaatsprinzip
offen in Frage zu stellen.
Philipp (a.a.O. Seite 435 f.) schreibt hierzu:
"Auf Basis solcher Vorstellungen wird in der schon erwähnten Verfassungskommission von einem Teil der Mitglieder die Forderung
erhoben, per Grundgesetzänderung den Ländern das Recht zu geben, selbst eigenständige Auslandsvertretungen einzurichten und zwar
nicht nur bei der EG. Hierzu muß man wissen, daß die meisten Bundesländer schon jetzt eigene Büros bei der EG unterhalten,
obwohl sie gar nicht deren Mitglied sind. Die Forderung, den Ländern eigenständige außenpolitische Vertretungsrechte
einzuräumen, hätte zur Folge, daß die Länder selbst Völkerrechtssubjekte werden und damit die Deutsche Einheit aufgelöst werde.
Konsequenterweise wurde denn auch in der Verfassungskommission schon offen darüber gestritten, ob die Bundesrepublik ein
Bundesstaat bleiben oder ein Staatenbund werden soll."
Philipp (a.a.O. Seite 436, Fußnote 12) nimmt ferner Bezug auf die von Kritikern geäußerte Sorge, aus dem deutschen Bundesstaat
drohe "ein weitgehend handlungsunfähiger Staatenbund zu werden" und erwähnt in diesem Zusammenhang einen Zeitungsbericht im
Mannheimer Morgen vom 22.06.1992, wonach auch der Bundespräsident sich dieser Sorge anschließe:
»Er befürchtet, daß durch Forderungen der Länder "die gesamte Ordnung der Bundesrepublik verändert werden könnte".«
Philipp (a.a.O. Seite 437) kommt bei der Prüfung der Frage, ob der Maastrichter Vertrag mit dem Grundsatz der
Bundesstaatlichkeit der Bundesrepublik Deutschland zu vereinbaren ist, zu dem Ergebnis, "daß das Inkrafttreten des Vertrages
über die europäische Union den innerstaatlichen Strukturen Deutschlands schlicht die Geschäftsgrundlage entziehen würde" und
"die dem Maastrichter Vertrag zugrundeliegende Idee, einen europäischen Bundesstaat zu schaffen, im Ansatz politisch und
verfassungsrechtlich verfehlt ist."
Neben Philipp läßt auch von Scholz (a.a.O. Seite 2600) in seiner abschließenden Bewertung die mit dem Maastrichter Vertrag für
das Bundesstaatsprinzip verbundenen Gefahren anklingen, wenn er folgende mahnende Worte gebraucht:
"Wenn Bund und Länder diese Bewährungsprobe nicht bestehen sollten, so würden sie die gesamte Bundesstaatsstruktur der
Bundesrepublik Deutschland und ihre Bewahrung im weiteren Prozeß der europäischen Einigung in Frage stellen."
3) Demokratieprinzip:
Die in Artikel 23 Abs. 1 GG vorgesehene "Begründung der Europäischen Union", das dort ebenfalls vorgesehene Mitwirken der
Bundesrepublik Deutschland "bei der Entwicklung der Europäischen Union" und die Zustimmung zum Maastrichter Vertrag verstossen
gegen das in Artikel 20 Abs. 1 GG festgelegte, in Artikel 20 Abs. 2 GG konkretisierte und durch Artikel 79 Abs. 3 GG vor jedem
Zugriff geschützte Demokratieprinzip.
Das Grundgesetz läßt Grundgesetzänderungen, die das Prinzip der parlamentarischen Demokratie berühren, nicht zu. Dieses Prinzip
wird durch Artikel 23 Abs. 1 Satz 1 GG mit dem vagen Hinweis auf eine Europäische Union, die demokratischen Grundsätzen
verpflichtet ist, nicht gewährleistet.
Das unabänderliche Prinzip der parlamentarischen Demokratie beinhaltet nach Maunz-Dürig, Grundgesetz, Artikel 20 GG, Abschnitt
II, Rand-Nr. 82, die unabdingbare Existenz eines Parlaments, das "über ausreichende (zumindest gleichwertige)
Einflußmöglichkeiten auf die Gesamtpolitik des Staates verfügen" muss. Maunz-Dürig geht davon aus, dass "eine parlamentarische
Demokratie im hier verwendeten Sinne des Wortes jedenfalls nicht mehr gegeben wäre, wenn das Parlament ausschließlich auf
unverbindliche Kontrollrechte (z.B. auf das Recht der parlamentarischen Interpellation und auf das Recht der parlamentarischen
Debatte) beschränkt wäre. Von parlamentarischer Demokratie kann vielmehr nur dann gesprochen werden, wenn das Parlament auch
über einen ausreichenden Bestand an Entscheidungs- bzw. Steuerungsbefugnissen verfügt. Insofern würde das parlamentarische
Budgetrecht - jedenfalls dem Grundsatz nach - mit Sicherheit zum unantastbaren Kernbestand des Art. 20 gehören. Vor allem aber
ist diesem Kernbestand das Recht der parlamentarischen Gesetzgebung zuzurechnen - nicht von ungefähr gehören Begriff und
Institution des (formellen) Parlamentsgesetzes nach herrschender Lehre zum unmittelbarn Bestand des demokratischen Prinzips".
Artikel 20 GG setzt im Hinblick auf das Parlament stillschweigend dessen Recht voraus, "jede beliebige Frage gesetzlich zu
regeln" (Maunz-Dürig, a.a.O. Rand-Nr. 84).
Im Hinblick auf die Gewährleistung des demokratischen Prinzips im Rahmen der europäischen Integration gilt laut Maunz-Dürig
(a.a.O. Rand-Nr. 104) folgendes:
"Das demokratische Prinzip besitzt für die staatliche Existenz der Bundesrepublik Deutschland eine so fundamentale Bedeutung,
daß der Gedanke abwegig wäre, das GG könne dem Bundesgesetzgeber zur Übertragung von Hoheitsbefugnissen auf ein
nichtdemokratisches überstaatliches Gemeinwesen ermächtigen. Hoheitsträger, die nicht demokratisch verfaßt und insbesondere auch
nicht demokratisch legitimiert sind, kann es im Geltungsbereich des GG nicht geben. Sie können von den Verfassungsorganen der
Bundesrepublik nicht einmal geduldet, geschweige denn mitkonstituiert werden."
»Dabei ist zugleich - jedenfalls dem Grundsatz nach - davon auszugehen, daß die supranationale Gemeinschaft, auf die die
Staatsorgane der Bundesrepublik Hoheitsrechte übertragen, sich nicht zu irgend einer Form von Demokratie bekennen muß, sondern
zu jener Art von Demokratie, von der das GG ausgeht und die es für den innerstaatlichen Anwendungsbereich in Art. 79 III
prinzipiell für unantastbar erklärt hat. Es ist also dem Grundsatz nach insbesondere nicht abwegig, den Grundgedanken des Art.
28 I Satz 1, nach dem in den Bundesländern die Demokratie "im Sinne dieses GG" verwirklicht werden muß, mutatis mutandis auch
auf die supranationalen Gemeinschaften im Sinne des Art. 24 I zu übertragen.« (Maunz-Dürig, a.a.O. Rand-Nr. 105)
Scholz (a.a.O. Seite 2598) führt zu dieser Thematik aus:
"Je mehr Zuständigkeiten aus der nationalen Verantwortung und nationalen demokratischen Legitimation in die supranationalen
Zuständigkeiten der Europäischen Union abwandern, desdo nachhaltiger stellt sich die Forderung nach einer vergleichbaren
demokratischen Legitimation und Kontrolle jener supranationalen Zuständigkeiten. Konkret bedeutet dies vor allem, daß das
Europäische Parlament zu einer wirklichen und effektiven demokratischen Legitimations-, Legislativ- und Kontrollinstanz
ausgebildet werden muß."
Die Europäische Gemeinschaft ist gegenwärtig nicht nach dem Prinzip einer parlamentarischen Demokratie ausgestaltet. Der
Maastrichter Vertrag ändert hieran nichts. Insofern ist nur zu verständlich, dass Artikel 23 Abs. 1 Satz 1 den Grundsatz der
parlamentarischen Demokratie ausklammert.
Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Beschluß vom 29.05.1974 (BVerfGE 37, 271, 280) festgestellt:
"Dabei ist der gegenwärtige Stand der Integration der Gemeinschaft von entscheidender Bedeutung. Sie entbehrt noch eines
unmittelbaren demokratisch legitimierten, aus allgemeinen Wahlen hervorgegangenen Parlaments, das Gesetzgebungsbefugnisse
besitzt, und dem die zur Gesetzgebung zuständigen Gemeinschaftsorgane politisch voll verantwortlich sind".
Das Europäische Parlament erfüllt auch nach Abschluß des Maastrichter Vertrages die vom Bundesverfassungsgericht geforderten
Kriterien nicht.
Oppermann/Classen, "Die EG vor der Europäischen Union" (NJW 1993, 5, 8) merken hierzu an:
"Daher wurde die Forderung nach größerer Kompetenzerweiterung für das Europäische Parlament in Maastricht nur von wenigen
Mitgliedstaaten unterstützt, von anderen aber hartnäckig bekämpft. .... Hintergrund dieser Zurückhaltung ist der Wille, den
Charakter der EG als einer primär über die ihrerseits demokratischen Mitgliedsstaaten legitimierten Staatenorganisation zu
wahren."
Die mit dem Maastrichter Vertrag verbundenen Kompetenzerweiterungen für das Europäische Parlament sind - gemessen am vom
Grundgesetz garantierten Prinzip der parlamentarischen Demokratie - marginal. Sie beschränken sich häufig auf Anhörungs- und
Unterrichtungsrechte bzw. auf das Recht, Anfragen oder Empfehlungen an andere EG-Organe zu richten (vgl. etwa Art. J 7 des
Vertrages über die Europäische Union). Echte Mitbestimmungsbefugnisse des Europäischen Parlaments, wie etwa in Art. 189b EGV,
sind nur vereinzelt verwirklicht. Der Ministerrat behält seine maßgebliche Stellung im Rechtsetzungsverfahren der Gemeinschaft.
Von dem Recht, jede beliebige Frage gesetzlich zu regeln, oder wenigstens von gleichwertigen Einflußmöglichkeiten auf die
Gesamtpolitik der Europäischen Gemeinschaft ist das Europäische Parlament weit entfernt. Auch das für die Verwirklichung des
Prinzips der parlamentarischen Demokratie essentielle Budgetrecht des Parlaments ist nicht verwirklicht. Der Ministerrat kann
nach Art. 203 Abs. 5 EGV Änderungsvorschläge des Europäischen Parlaments betreffend den Entwurf des Haushaltsplans ablehnen.
Auch die Zusammensetzung des Europäischen Parlaments widerspricht dem Grundgedanken einer demokratischen Repräsentation der
Bevölkerung der Mitgliedsstaaten durch das Parlament:
"Das Europäische Parlament .... ist auch nicht nach dem Prinzip der Wahlgleichheit aller Unionsbürger zusammengesetzt: Die
Unionsbürger der kleineren Länder haben durch eine überproportionale Abgeordnetenzahl ein Vielfaches des Stimmgewichts der
Unionsbürger aus den großen Ländern - Indiz dafür, daß es eine Identität eines einheitlichen europäischen Volkes noch nicht
gibt." (Rupp, "Muß das Volk über den Vertrag von Maastricht entscheiden?", NJW 1993, 38, 40).
Artikel 138 Abs. 2 EGV, mit dem etwa für die Bundesrepublik Deutschland eine gleiche Zahl von Abgeordneten festgesetzt wird, wie
für Frankreich, Italien und Großbritannien, benachteiligt die Bundesrepublik Deutschland als weitaus bevölkerungsreichsten
Nationalstaat in besonderem Maße.
Hierzu merken Oppermann/Classen (a.a.O. Seite 8) an:
»Schwer verständlich bleibt, daß die für Maastricht bereits vorbereitete Umwandlung des Status der 18 ostdeutschen Beobachter im
Europäischen Parlament in den Abgeordnetenstatus im letzten Moment mit Rücksicht auf die Parität der "großen" Mitgliedstaaten im
Parlament unterblieb.«
Letztlich scheitert der mit Artikel 23 GG unternommene Versuch einer verfassungsrechtlichen Absicherung der Begründung der
Europäischen Union am Demokratieprinzip des Grundgesetzes aufgrund der Nichtexistenz eines europäischen Staatsvolks.
Oppermann/Classen (a.a.O. Seite 8) stellen hierzu fest:
»Maastricht hat gelegentlich herbe Kritik wegen unzureichender Fortschritte zugunsten einer demokratischen Politischen Union
erfahren. Von solchen Anhängern der Vision eines Europäischen Bundesstaates ("Vereinigte Staaten von Europa" o.ä.) wird leicht
übersehen, daß volle Demokratie ein Staatsvolk voraussetzt. Trotz der Unionsbürgerschaft fehlt es daran auf der Ebene der
Gemeinschaft, wahrscheinlich auf Dauer.«
In einem Bericht der Süddeutschen Zeitung, Ausgabe Nr. 293, wird unter der Überschrift "Verfassungsrichter Grimm im Hörsaal:
Volksentscheid über Maastricht" über einen Vortrag von Professor Dieter Grimm, Richter im Ersten Senat des
Bundesverfassungsgerichts, wie folgt berichtet:
»In seinem Vortrag scheute er allerdings nicht vor grundlegenden verfassungsrechtlichen Bedenken zurück. Dieser Vertrag bringe
die EG auf den Weg zu einem europäischen Bundesstaat mit allen Konsequenzen für die nationalen Regierungen und Parlamente. In
einem solchen Staat seien aber die in 200 Jahren erkämpften Errungenschaften des demokratischen Verfassungsstaates nicht zu
verwirklichen. Und die Preisgabe dieser Prinzipien wäre ein zu hoher Preis für das an sich begrüßenswerte Ziel der europäischen
Integration. Von den meisten Kritikern des Demokratie-Defizits der EG unterschied sich Grimm in einem entscheidenden Punkt:
Selbst bei einer Aufwertung des Europäischen Parlaments zu einem echten Parlament ließen sich die Errungenschaften des
demokratischen Verfassungsstaates auf europäischer Ebene nicht verwirklichen. Nach Auffassung Grimms ist dieses
Demokratie-Defizit nämlich "strukturell bedingt", es lasse sich "auf mittlere Sicht nicht durch institutionelle Reformen
beheben". Seine zentrale Begründung: Wegen des Sprachenproblems in der EG könne es auf lange Zeit keine "europäische
Öffentlichkeit" und keinen "europäischen Diskurs" als Voraussetzung für einen demokratischen Staat geben. Unter diesen
Bedingungen könne er sich auf lange Sicht kein europäisches Staatsvolk vorstellen, sagte Grimm. Ohne diesen Unterbau wiederum
würde sich auch ein Europäisches Parlament nicht in eine wirkliche Volksvertretung umwandeln. Der Maastricht-Vertrag stelle also
die Weichen für einen europäischen Bundesstaat, ohne daß ein europäisches Staatsvolk vorhanden sei. Grimms Schlußfolgerung
lautete: Die Europäische Gemeinschaft müsse bis auf weiteres "auf der Stufe eines Zweckbündnisses von Staaten gehalten werden",
sie dürfte sich nicht in einen Staat verwandeln.«
4) Volkssouveränität I:
Die in Artikel 23 Abs. 1 GG vorgesehene "Begründung der Europäischen Union", das dort ebenfalls vorgesehene Mitwirken der
Bundesrepublik Deutschland "bei der Entwicklung der Europäischen Union" und die Zustimmung zum Maastrichter Vertrag verstossen
auch gegen den in Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG als "Vollrecht" (Maunz-Dürig, a.a.O., Rand-Nr. 33) verankerten und vor jedem Zugriff
durch Verfassungsänderungen geschützten Grundsatz der Volkssouveränität. Art. 23 Abs. 1 GG erwähnt diesen Verfassungsgrundsatz
im Hinblick auf die zu gründende Europäische Union nicht andeutungsweise.
Durch Art. 20 Abs. 1 GG wird das Prinzip der Volkssouveränität eingeengt auf eine "demokratische Volkssouveränität". »Das
"Ausgehen" der Staatsgewalt vom Volk muß demzufolge sowohl für das Volk auch für die von ihm eingesetzten Staatsorgane konkret
erfahrbar sein und es muß sich zu diesem Zweck insbesondere immer wieder konkret erneuern.« (Maunz-Dürig, a.a.O., Rand-Nr. 36)
In der verfassungsrechtlichen Literatur wird im Hinblick auf die Anforderungen, die die demokratische Volkssouveränität im Sinne
von Art. 20 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 GG stellt, neben der materiell-demokratischen Legitimität der Staatsgewalt, die darauf
gründet, dass die "Staatstätigkeit inhaltlich (materiell) an den Willen der unmittelbar vom Volk gewählten Staatsorgane (konkret
also des Parlaments)", gebunden wird (Maunz-Dürig a.a.O. Rand-Nr. 48) eine »ebenso eindeutige wie lückenlose persönliche
Legitimation der die Staatsgewalt ausübenden Amts- bzw. Organverwalter (eine "individuelle", auf eine Entscheidung des
Staatsvolkes rückführbare Berufung)« (Maunz-Dürig, a.a.O. Rand-Nr. 50) postuliert.
»Für den demokratischen Volkssouverän muß zwangsläufig gefordert werden, daß die staatlichen Amtswalter, gleichgültig wo sie im
einzelnen tätig sein mögen, erstens individuell ausgewählt werden und zweitens ihren Auftrag (ihre "Berufung") entweder
unmittelbar vom Volk (in einer Wahl) erhalten oder doch zumindest in einer ununterbrochenen Legitimationskette auf einen Auftrag
des Volkes zurückführen können. Geborener Organwalter und geborens Staatsorgan ist im Staat der demokratischen Volkssouveränität
das Staatsvolk (genauer die Aktivbürgerschaft). Von ihr geht zumindest die erste Berufung eines anderen Organwalters (des
Parlaments) unmittelbar aus.« (Maunz-Dürig, a.a.O. Rand-Nr. 52)
Daraus ist abzuleiten, dass "in einer Staatsverfassung, die dem Prinzip der demokratischen Volkssouveränität gerecht werden will,
von jedem einzelnen Amtswalter eine ununterbrochene Kette individueller Berufungsakte bis auf das Volk als den Träger der
Staatsgewalt zurückführen muß. Nur wenn diese Kette in allen Fällen vollständig ist, kann davon gesprochen werden, daß die
demokratische Legitimität der staatlichen Organisation gewährleistet und das Prinzip der demokratischen Volkssouveränität daher
so lückenlos durchgeführt ist, wie es Art. 20 II Satz 1 verlangt." (Maunz-Dürig, a.a.O. Rand-Nr. 53)
Art. 20 Abs. 2 Satz 1 verlangt "unzweifelhaft nicht die Legitimation durch irgendein Staatsvolk, sondern grundsätzlich durch das
deutsche Staatsvolk" (Maunz-Dürig, a.a.O. Rand-Nr. 111).
Der Maastrichter Vertrag verstößt gegen das unabänderliche Prinzip der demokratischen Volkssouveränität, indem er ein
Europäisches Parlament vorsieht, das sich aus insgesamt 518 Abgeordneten zusammensetzt, von denen jedoch lediglich 81 Abgeordnete
vom deutschen Volk unmittelbar gewählt wurden (vgl. Art. 138 EGV). Diese deutschen Abgeordneten sind im Rahmen von Abstimmungen im
Europäischen Parlament nicht in der Lage, den ihnen vom deutschen Volk erteilten Auftrag durchzusetzen, sie haben sich vielmehr
Mehrheitsentscheidungen des Parlaments zu beugen (Art. 141 EGV). Die nichtdeutschen Abgeordneten des Europäischen Parlaments, die
regelmäßig in der Lage sind, die vom deutschen Volk gewählten Abgeordneten zu majorisieren, können sich nicht auf eine
demokratische Legitimation durch das deutsche Volk berufen, die sie vor dem Hintergrund des Prinzips der demokratischen
Volkssouveränität zu hoheitlichem Handeln gegenüber der Bundesrepublik Deutschland ermächtigen würde.
Gleiches gilt nach dem Maastrichter Vertrag für die beiden wichtigsten Organe der Europäischen Gemeinschaft, den Rat und die
Kommission.
Der Rat besteht nach Art. 146 EGV aus je einem Vertreter jedes Mitgliedsstaates. Er beschließt nach Art. 148 Abs. 1 EGV
grundsätzlich mit der Mehrheit seiner Mitglieder. Sofern für einen Beschluß des Rates die qualifizierte Mehrheit erforderlich
ist, wird dem Vertreter der Bundesrepublik Deutschland nach Art. 148 Abs. 2 ein Stimmenanteil von 10/76 zugebilligt, so dass
wiederum die nichtdeutschen Vertreter des Rates, die nicht vom deutschen, sondern von den Völkern der übrigen Mitgliedstaaten
zur Ausübung ihres Amtes legitimiert wurden, das deutsche Ratsmitglied majorisieren können.
Die Kommission besteht nach Art. 157 Abs. 1 EGV - vorbehaltlich einer einstimmigen Änderung durch den Rat - aus 17 Mitgliedern.
Ihr muss mindestens ein Staatsangehöriger jedes Mitgliedsstaates angehören, jedoch dürfen nicht mehr als zwei Mitglieder dieselbe
Staatsangehörigkeit besitzen. Nach Art. 158 Abs. 2 benennen die Regierungen der Mitgliedsstaaten die Mitglieder der Kommission
im gegenseitigen Einvernehmen nach vorheriger Zustimmung durch das Europäische Parlament. Dieses Ernennungsverfahren
berücksichtigt trotz des herzustellenden Einvernehmens zwischen den Vertretern der Mitgliedsstaaten den Grundsatz der
demokratischen Volkssouveränität nicht in ausreichendem Maße, weil der Bundesrepublik Deutschland die Benennung der
Kommissionsmitglieder nicht freigestellt ist und Art. 157 EGV die Akzeptanz von mindestens 15 nichtdeutschen Mitgliedern der
Kommission, die nach Art. 163 EGV Beschlüsse mit der Mehrheit der Anzahl ihrer Mitglieder faßt und so ebenfalls in der Lage ist,
den oder die deutschen Mitglieder der Kommission zu überstimmen, zwingend vorschreibt.
Der Maastrichter Vertrag als konkrete Ausgestaltung der Europäischen Union wird somit dem Prinzip der Volkssouveränität, "dessen
Beachtung durch supranationale Organisationen eine unabdingbare Voraussetzung für die Zulässigkeit eines Beitritts seitens der
Bundesrepublik Deutschland" darstellt (Maunz-Dürig, a.a.O. Rand-Nr. 111), nicht gerecht.
5) Gewaltenteilung:
Die in Artikel 23 Abs. 1 GG vorgesehene "Begründung der Europäischen Union", das dort ebenfalls vorgesehene Mitwirken der
Bundesrepublik Deutschland "bei der Entwicklung der Europäischen Union" und die Zustimmung zum Maastrichter Vertrag verstossen
auch gegen den in Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG niedergelegten und unabänderlichen Grundsatz der Gewaltenteilung. Der in Art. 23 Abs.
1 GG enthaltene vage Hinweis auf eine Europäische Union, die rechtsstaatlichen Grundsätzen verpflichtet ist, stellt keine
Garantie zur Einhaltung des Grundsatzes der Gewaltenteilung innerhalb der Europäischen Union dar. Nach der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfGE 30, 1, 24) ist in Art. 20 GG nicht niedergelegt das Rechtsstaatsprinzip, vielmehr sind
dort "nur ganz bestimmte Grundsätze des Rechtsstaatsprinzips" garantiert, u.a. der Grundsatz der Gewaltenteilung.
Der unverzichtbare Kern der Gewaltenteilungsidee ist darin zu sehen, "daß die Macht, die innerhalb einer bestimmten Institution
faktisch vorhanden ist, auf mehrere Träger verteilt wird, und zwar nicht nur formal, sondern auf eine Art und Weise, die die
Wahrscheinlichkeit eines willkürlichen Zusammengehens der verschiedenen Machtträger tatsächlich ausschließt oder doch zumindest
als sehr unwahrscheinlich erscheinen läßt. Dieser eigentlich politische Kern der Gewaltenteilungsidee .... muß auch bei den
supranationalen Gemeinschaften gewahrt sein, denen die Bundesrepublik Deutschland nach Art. 24 I beitreten und Teile ihrer
Hoheitsgewalt übertragen will." (Maunz-Dürig, a.a.O. Rand-Nr. 136).
Auch nach Abschluß des Maastrichter Vertrages kennt das EG-Recht, um mit Maunz-Dürig (a.a.O. Rand-Nr. 142) zu sprechen, "das
Institut des vom Parlament beschlossenen förmlichen Gesetzes und die mit diesem im deutschen verfassungsrechtlichen Denken
verknüpften Grundsätze der Allzuständigkeit des Gesetzgebers sowie des Vorrangs und des Vorbehalts des förmlichen Gesetzes
nicht."
Das Europäische Parlament stellt keine legislative Gewalt dar, es ist weitgehend darauf beschränkt auf Anfragen, Empfehlungen,
Anhörungen und Zustimmungen. Die staatliche (legislative und exekutive) Gewalt innerhalb der Europäischen Gemeinschaft
konzentriert sich auf den Ministerrat und - mit deutlichen Abstrichen - die Kommission. Soweit im Hinblick auf diese beiden
Organe überhaupt von einer Gewaltenteilung gesprochen zu werden vermag, würde das Spannungsverhältnis zwischen diesen Organen
den Minimalanforderungen, die das Grundgesetz als Kernbestand echter politischer Gewaltenteilung voraussetzt, nicht gerecht
werden.
Rat und Kommission vereinigen auf sich jeweils legislative und exekutive Machtbefugnisse. Rupp (a.a.O. seite 40) faßt dies in
folgenden Worten zusammen:
"Die geplante Europäische Union ist als Gemeinwesen mit bürokratisch-verwaltungsstaatlicher Herrschaftsform konzipiert.
Gesetzgebung und Verwaltung liegen bei Amtsträgern der zweiten Gewalt."
Die Mitglieder beider Organe verdanken ihr Amt den Regierungen der einzelnen Mitgliedsstaaten, lediglich die Kommission zeichnet
sich dadurch aus, dass fünf ihrer siebzen Mitglieder nicht jeweils die einzelnen Repräsentanten ihres Mitgliedsstaates sind.
Der Maastrichter Vertrag läßt häufig auch eine klare Abgrenzung der Zuständigkeiten der Kommission von denjenigen des
Ministerrates vermissen. Insbesondere in den Bereichen, in denen die Kommission berechtigt ist, "Befugnisse auszuüben, die ihr
der Rat zur Durchführung der von ihm erlassenen Vorschriften überträgt" (vgl. Art. 155 EGV) bzw. der Rat bestimmte Modalitäten
für die Ausübung der Befugnis der Kommission zur Durchführung der vom Rat erlassenen Vorschriften festlegt (vgl. Art. 145 EGV),
kann von einer effektiven Machtbalance zwischen Ministerrat und Kommission nicht die Rede sein.
6) Europäische Zentralbank:
Artikel 23, Artikel 45, die Neufassung von Artikel 50, Artikel 52 Abs. 3a, die Neufassung von Artikel 88 und von Artikel 115e
Abs. 2 Satz 2 haben jeweils zur Grundlage die Begründung einer Europäischen Union, die aus den vorerwähnten Gründen gegen die
Bundesstaatlichkeit der Bundesrepublik Deutschland und gegen die Grundsätze der parlamentarischen Demokratie, der
Volkssouveränität und der Gewaltenteilung verstoßen. Diese Grundgesetzänderungen sind somit samt und sonders verfassungswidrig.
Art. 88 Satz 2 GG, mit dem eine Übertragung der Aufgaben und Befugnisse der Bundesbank auf eine unabhängige Europäische
Zentralbank vorbereitet werden soll, erklärt die Bereitschaft des verfassungsändernden Gesetzgebers, einen essentiellen
Bestandteil der Eigenstaatlichkeit der Bundesrepublik, die Währungshoheit und Währungssicherung, die Grundlage des
wirtschaftlichen Wohlstandes dieser Nation, preiszugeben.
7) Bundesstaatsprinzip:
Die Neufassung von Artikel 24 Abs. 1a GG verstößt gegen das Bundesstaatsprinzip. Die den Bundesländern dort eingeräumte
Möglichkeit, im Rahmen ihrer Zuständigkeit zur Ausübung staatlicher Befugnisse und zur Erfüllung staatlicher Aufgaben
Hoheitsrechte auf grenznachbarschaftliche Einrichtungen zu übertragen, würde den Bundesländern erstmals das Recht verleihen, auf
internationalem Parkett als eigenständige Völkerrechtssubjekte aufzutreten. Das Grundgesetz würde damit den Einstieg in eine
Entwicklung autorisieren, an deren Ende dem Bundesstaatsprinzip die Geschäftsgrundlage entzogen sein und sich aus der
Bundesrepublik Deutschland ein Staatenbund entwickelt haben könnte.
8) Volkssouveränität II:
Artikel 28 Abs. 1 Satz 3 GG wonach bei Wahlen in Kreisen und Gemeinden "auch Personen, die die Staatsangehörigkeit eines
Mitgliedsstaates der Europäischen Gemeinschaft besitzen, nach Maßgabe von Recht der Europäischen Gemeinschaft wahlberechtigt und
wählbar" sein sollen, verstößt gegen das Prinzip der Volkssouveränität.
Das Bundesverfassungsgericht hat im Urteil vom 31.10.1990 (NJW 1991, 162 ff.) festgestellt, dass nach dem in Artikel 20 Abs. 2
Satz 1 GG verankerten Grundsatz der Volkssouveränität das Staatsvolk der Bundesrepublik Deutschland Träger und Subjekt der
Staatsgewalt ist. Dieses Staatsvolk umfaßt die deutschen Staatsangehörigen und die ihnen nach Artikel 116 Abs. 1 GG
gleichgestellten Personen. Das Gericht stellte fest, dass auch für das Wahlrecht, durch dessen Ausübung das Volk in erster Linie
die ihm zukommende Staatsgewalt wahrnimmt, nach der Konzeption des Grundgesetzes Anknüpfungspunkt für die Zugehörigkeit zum Volk
die deutsche Staatsangehörigkeit ist. Der in Artikel 28 Abs. 1 Satz 2 GG verwendete Begriff "Volk", der einheitlich für Länder,
Kreise und Gemeinden verwendet wird, wurde vom Bundesverfassungsgericht im Hinblick auf die Einheitlichkeit der demokratischen
Legitimationsgrundlage in gleicher Weise ausgelegt wie der Volksbegriff in Artikel 20 Abs. 2 Satz 1 GG.
Die Grundgesetzänderung erweitert nunmehr in Artikel 28 Abs. 1 das aktive und passive Wahlrecht auf Personen mit der
Staatsangehörigkeit eines Mitgliedsstaates der Europäischen Gemeinschaft, so dass sich die vom Bundesverfassungsgericht noch
nicht entschiedene Frage stellt, inwieweit dieses erweiterte Wahlrecht auf kommunaler Ebene mit dem Grundsatz der
Volkssouveränität, der sich unzweifelhaft nur auf das deutsche Staatsvolk bezieht, zu vereinbaren ist.
Die hoheitliche Tätigkeit von Kreisen und Gemeinden ist auch Staatsgewalt im Sinne von Artikel 20 Abs. 2 Satz 1 GG. Das dort
formulierte Prinzip der Volkssouveränität ist im Hinblick auf die vom Volke ausgehende Staatsgewalt nicht beschränkt auf eine
hoheitliche Tätigkeit des Bundes und der Länder. In Artikel 20 Abs. 2 GG wird das Bundesstaatsprinzip nicht erwähnt.
Auch der in Artikel 20 Abs. 2 Satz 1 GG gewählte Begriff "Volke" enthält keine Beschränkung auf das Bundesvolk und die
Landesvölker.
Das Bundesverfassungsgericht führte in seinem Urteil vom 31.10.1990 aus:
"Für seine mit Art. 28 I 2 GG getroffene Entscheidung, nach der die durch Wahlen vermittelte demokratische Legitimation der
Gemeindevertretung von den in der Gemeinde ansässigen Deutschen auszugehen hat, hatte der Verfassungsgeber nach alledem gute
Gründe: Das in Art. 20 II und Art. 28 I 1 GG für die staatliche Ebene verankerte demokratische Prinzip erfährt durch Art. 28 I 2
GG seine Ausgestaltung für die Gemeinden und Kreise."
Wäre der Verfassungsgeber berechtigt, das Prinzip der Volkssouveränität auf kommunaler Ebene außer Kraft zu setzen, würde dies
nach der Systematik der Artikel 20 Abs. 1 und Abs. 2 und Artikel 28 Abs. 1 GG in gleicher Weise für das Demokratieprinzip
gelten. Dieser Rückschluß wäre mit dem eben zitierten Satz, schwerlich in Einklang zu bringen.
Philipp (a.a.O. Seite 436) führt zum Thema "Einführung eines Ausländerwahlrechts" aus:
»Ein weiteres Indiz dafür, daß der staatsrechtliche Begriff "Deutschland" und damit die deutsche Einheit gefährdet ist, muß
darin gesehen werden, daß der Regierungsentwurf in Art. 28 GG erstmals ein Ausländerwahlrecht für EG-Ausländer vorsieht. Das
bedeutet: Die vom "Volk" in seiner bisherigen Zusammensetzung gewählten Abgeordneten gehen dazu über, sich nach der Wahl von
oben herab ein anderes Staatsvolk zu definieren. Ein solcher Vorgang ist mit dem in Art. 20 GG unabdingbar verankerten
Grundsatz, daß alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht, unvereinbar, der demokratische Prozeß wird hier auf den Kopf gestellt."
9) Ewigkeitsklausel:
Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 15.12.1970 (BVerfGE 30, 1, 24) "Art. 79 Abs. 3 GG als Schranke für den
verfassungsändernden Gesetzgeber" dahingehend ausgelegt, dass er "eine prinzipielle Preisgabe der dort genannten Grundsätze
verbietet und diese Grundsätze "nur für eine Sonderlage entsprechend deren Eigenart aus evident sachgerechten Gründen
modifiziert werden" dürfen.
Weder im Hinblick auf die Grundgesetzänderungen im Zusammenhang mit der Begründung der Europäischen Union noch im Hinblick auf
die Zustimmung zum Vertrag vom 07.02.1992 über die Europäische Union liegt eine "Sonderlage" vor, die zu einer Modifikation der
Bundesstaatlichkeit der Bundesrepublik Deutschland sowie der Grundsätze der parlamentarischen Demokratie, der Volkssouveränität
und der Gewaltenteilung "aus evident sachgerechten Gründen" Anlaß geben würden.
Bundestag und Bundesrat haben vielmehr mit den angegriffenen Beschlüssen ohne jeglichen innen- wie außenpolitischen Zwang den
Versuch unternommen, "die Identität der geltenden Verfassung der Bundesrepbulik Deutschland durch Einbruch in die sie
konstituierenden Strukturen" aufzuheben (vgl. BVerfGE 37, 271, 279).
Die Referenden in Dänemark und Frankreich haben gezeigt, dass die geplante europäische politische Union in weiten Kreisen der
Völker der Mitgliedsstaaten auf Ablehnung stößt. Eine sachliche öffentliche Diskussion über die mit der Europäischen Union für
die Bundesrepublik Deutschland verbundenen positiven wie negativen Entwicklungen wurde nicht nur vermieden, sondern sogar
regelrecht tabuisiert. Nach dem negativen Ausgang des Referendums in Dänemark, dem nunmehr im Bereich der Währungs- und der
Außen- bzw. Sicherheitspolitik Sonderkonditionen angeboten werden, ist abzusehen, dass der Vertrag vom 7. Februar 1992 über die
Europäische Union in der Form, wie ihm von den Antragsgegnern zugestimmt wurde, nicht von allen Vertragsparteien ratifiziert
werden wird.