Eine für fast alle Schachprogramme unlösbare Studie
Menschenschach vs. Computerschach
"Mittlerweile, und ich kann das durch Partien belegen, spielen Computerschachprogramme
atemberaubend schönes und mitreißendes Schach. Gerade Programme wie Stockfish faszinieren durch
ihre Spielweise und bieten alles andere als langweiliges Großmeistergeschiebe. Ein
Paradigmenwechsel in Tiefe und Ästhetik des Schachspiels?"
(Joe Boden - Verfasser der ehemaligen Joe's Schachblog)
Tatsache ist, dass das derzeit beste Computerschachprogramm "Stockfish" ca. 400 ELO-Punkte mehr
auf dem Kasten hat, als der Schachweltmeister Carlsen (am 30.5.2014 2880 ELO). Die Berechnung
dieser ELO-Differenz ist umstritten. Auf jeden Fall handelt es sich um einen Klassenunterschied.
Und dabei darf man nicht vergessen, dass Carlsen derzeit weit über allen
anderen Schachgroßmeistern thront. Eine 400-ELO-Differenz würde rechnerisch nach der in
Wikipedia aufgeführten
Formel für die statistisch von einem Spieler in einem Wettkampf zu erzielenden Punkte bedeuten,
dass der bedauernswerte Schachweltmeister in einem Duell mit Stockfish über 10 Partien gerade mal
einen Punkt, also entweder 2 Remisen oder einen Sieg (sehr unglaubwürdig) ergattern würde.
Fazit: In Relation zu den heutigen besten Computerprogrammen bedeutet Menschenschach
Stümper gegen Patzer!
Meiner unmaßgeblichen Meinung nach ist normales Menschen-Wettkampf-Schach anachronistisch. Die Fehleranzahl
ist Legion und sprengt die Frustrationstoleranz. Bei einem Formel-1-Rennen begnügt man sich ja auch nicht
mit Amateur-Piloten, die mal kurz ihr Seifenkistl zusammengepappt haben. Wenn man etwa die WM-Kämpfe
zwischen Carlsen und Anand sowie die nebenherlaufenden Bewertungen von Computerschachprogrammen verfolgt,
hat man zu oft das Gefühl, dass man sich für die menschliche Rasse fremdschämen muss - und das nicht nur
bei den zwischenzeitlich geradezu legendären Aussetzern Anands. Carlsen's Fehler sind halt nicht ganz so
evident. Sollte die Zukunft von Schachexperten nicht besser in der Aufbereitung und Kommentierung wirklich
anspruchsvoller und fast fehlerfreier Schachpartien zwischen den Spitzenprogrammen liegen?
Ein ähnlich dickes Fell braucht man, wenn man sich Schachliteratur antut und diese parallel mit einem
Schachprogramm überprüft. Solche Schachanalysen gehen häufigst an den wirklichen Stellungsproblemen
vorbei, wenn sie nicht zuvor rechnergestützt kontrolliert wurden. Alle humanen strategischen Überlegungen
sind in konkreten Stellungen schnell Makulatur, wenn ein Programm in extremer Rechentiefe eine bessere
Lösung findet, die sich nicht an Lehrbuch-Regeln hält. Schachprogramme haben wenig Sinn für strategische
Problemlösungen.
Empfehlungen:
Stockfish ist eine kostenlos downloadbare quelloffene (open source) UCI-Schachengine. Die jeweils
aktuellsten und zumeist auch stärksten Versionen sind auf folgender Webseite erhältlich:
Die neueren Stockfish-Versionen unterstützen Syzygy-Bases. Dies sind Endspiel-Tabellen für 3-6-Steine-Endspiele.
Nun aber zu guter Letzt noch ein Schmankerl, das weithin unbekannt ist:
Stockfish TCEC6 PA_GTB.
Dabei handelt es sich um eine von Jeremy Bernstein modifizierte, mittlerweile schon in die Jahre gekommene
Stockfish-Version Stockfish TCEC6
PA_GTB, die 2 Besonderheiten aufweist:
Permanente Hash-Tabellen, die in einer Laufwerksdatei gespeichert werden und vom
Programm - auch bei einem kompletten Neustart und bei Bedarf - immer wieder aufgerufen werden können.
Es handelt sich also um eine permanente Lernfunktion. Bei jeder Analyse einer Stellung speichert die
Engine fortwährend die von ihr gefundenen Resultate ab einer einstellbaren Suchtiefe ab und greift auf
diese Resultate zurück, wenn die gleiche Stellung bei der Analyse gefunden wird. Dies geschieht nicht nur
bei der Analyse der unveränderten Stellung und beim Sprung in eine andere Suchtiefe, sondern auch bei
anderen Stellungen. Wenn man also z.B. eine Partie von hinten nach vorne (zu empfehlen!) automatisch oder
per Hand analysiert (Rückwärts-Analyse), kann man auf Engine-Bewertungen einer zuvor weiter hinten
analysierten Stellung zurückgreifen und vermeidet einen Neustart der Analyse, die natürlich mit der
Suchtiefe 1 beginnen, viel Zeit kosten und - bei gegebenem Zeitlimit - die zum Erkennen der
Stellungsproblematik erforderliche Suchtiefe vielleicht gar nicht erreichen würde. Natürlich übernehmen
bei normalen Engines die im Arbeitsspeicher befindlichen Hash-Tabellen diese Funktion. Nur sind diese
einerseits von der Kapazität her etwas begrenzt und andererseits flüchtig, d.h. nach einem Neustart des
Programms nicht mehr vorhanden.
Wermutstropfen: Der Zugriff auf die in einer Laufwerksdatei gespeicherten Hash-Tabellen ist langsamer als
auf diejenigen im Arbeitsspeicher.
Weiterführende Informationen finden sich im Artikel
Rybka 3 Persistent Hash.
Zugriff auf die Gaviota Endgame Tablebases, die mit den Syzygy-Bases konkurrieren. Vorteil der
Gaviota Endspieltabellen: sie zeigen die Anzahl der Züge bis zum Matt an (Mattdistanz).
Vorteil der Syzygy-Bases: sie sind wesentlich kleiner, können also leichter heruntergeladen werden und die
Zugriffszeit dürfte kürzer sein.
Eine UCI-Engine wie Stockfish ist natürlich auf ein Graphical-User-Interface (GUI) angewiesen, mit
dessen Hilfe man mit der Engine kommunizieren kann. Davon sind einige kostenlos im Internet
erhältlich, als da z.B. wären Arena,
Scid und
Scid vs. PC. Eine weitere, nur käuflich,
jedoch preiswert zu erwerbende GUI ist
Aquarium, das
umfangreiche Analysefunktionen enthält und extrem zum Experimentieren einlädt.
Scid vs. PC scheint besser gepflegt zu werden als Scid und ist wohl Scid vorzuziehen.
Finito ♦ Aus die Maus ♦ Schicht im Schacht ♦ Klappe zu - Affe tot
So long ♦ See You Later, Alligator - In A While, Crocodile ♦ Over And Out